Pro Audio White Papers

Grenzen der digitalen Audiotechnik
Autor: Gerd Jüngling - Copyright: Alle Rechte vorbehalten
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erschienen als Artikel im 'Studio Magazin' unter Mitarbeit von Dieter Kahlen


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Bei analogen Aufzeichnungsverfahren wird zu höheren Frequenzen hin der Pegel geringer. Bei der Digitaltechnik liegt das wesentliche Problem darin begründet, dass wir eine konstante Abtastrate bei der Wandlung verwenden müssen, die allerdings in keiner Weise phasenstarr mit dem Nutzsignal verkoppelbar ist. Dadurch wird das als Digitalwort ausgegebene Ergebnis des Wandlungsvorgangs umso unberechenbarer, je mehr wir uns mit der Nutzfrequenz der Abtastfrequenz nähern. Rein theoretisch liegt die maximale Nutzfrequenz eines digitalen Systems nach dem berühmten Nyquist-Abtasttheorem bei der halben Abtastfrequenz. Theoretisch deshalb, weil dies eine phasenstarre Verkopplung von Abtastrate und Nutzsignal voraussetzt. Ein Nutzsignal mit der halben Abtastfrequenz kann nur dann übertragen werden, wenn der Phasenwinkel zwischen Abtastrate und Nutzsignal 0 Grad beträgt. In diesem Fall würde durch die positive Halbwelle einer Sinusschwingung (andere Wellenformen machen bei dieser Betrachtung keinen Sinn, da bereits die erste Oberwelle nicht mehr übertragen würde) ein positiver Digitalwert erzeugt und durch die negative Halbwelle ein negativer Digitalwert. Durch geeignete Filterung des so entstandenen Rechtecksignals könnte das Originalsignal mit einer gewissen Amplituden-Unsicherheit tatsächlich wieder rekonstruiert werden.

Das funktioniert allerdings nur dann, wenn mit Beginn der Abtastperiode die Sinusschwingung ihren Nulldurchgang hat. Bei einer Phasenverschiebung um beispielsweise 90 Grad würden dagegen die erste Abtastperiode den Zyklus von +90 Grad bis -90 Grad messen; die zweite Abtastperiode dann den Zyklus von -90 Grad bis +90 Grad. Das Resultat wäre in beiden Fällen Null. Unser Nyquist-Theorem, das vielerorts immer noch stillschweigend vorausgesetzt wird, ist also auf die uns hier interessierenden Audiosignale gar nicht anwendbar, da die genannte Voraussetzung der starren Phasenverkopplung in der Praxis natürlich nicht einhaltbar ist. Wann welche Nulldurchgänge und Schwingungsformen innerhalb des Audiosignals auftreten, ist völlig zufällig; die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nutzsignal mit der halben Abtastfrequenz noch übertragen wird, liegt bei 50 Prozent.

Fatalerweise sind nicht nur die Phasenlagen eines beliebigen Audio-Nutzsignals bezogen auf die Abtastfrequenz zufällig, sondern auch die übertragenen Frequenzen stehen natürlich nicht in irgendeinem vorhersehbaren Verhältnis zur Abtastrate. Sobald das Nutzsignal nun nicht mehr perfekt in die Abtastperiode 'hineinpasst', bekommen wir über mehrere Schwingungen betrachtet für jeden Schwingungsverlauf unterschiedliche Digitalwerte - die Phasenlage ändert sich von Schwingung zu Schwingung. Dies bedeutet im Ergebnis, dass wir am Ende der gesamten Signalkette, also nach A/D-Wandlung, Speicherung, Signalbearbeitung und D/A-Wandlung, neben dem Nutzsignal ein mit steigender Nutzsignal-Frequenz immer höher werdenden Betrag an nicht harmonischen Verzerrungen vorfinden, die durch Summen- und Differenztonbildung mit der Nutzfrequenz entstehen. Bei dem beschriebenen Sachverhalt handelt es sich um den wohl schwerwiegendsten Geburtsfehler der gesamten digitalen Audiotechnik, wobei bis heute nach meinem Kenntnisstand noch niemand wissenschaftlich fundierte Hörsamkeitsuntersuchungen zu dieser Art der Verzerrungen durchgeführt hat. Es ist also bisher niemals ermittelt worden, wie störend sich dieser Effekt tatsächlich auswirkt.

Genau diese nicht harmonischen Verzerrungen führen aber dazu, dass das klangliche Ergebnis beispielsweise einer Mischung vieler Einzelkanäle in digitalen Audio- Workstations oftmals nicht den Erwartungen des Anwenders entspricht. Das beschriebene Problem wirkt sich natürlich besonders eklatant aus, solange wir mit der Standard-Abtastrate von 48 kHz arbeiten. Durch Erhöhung der Abtastrate reduziert sich zwar die Problematik; wenn man aber einmal davon ausgeht, dass das menschliche Ohr auf die beschriebenen Intermodulations- Effekte weitaus empfindlicher reagiert als auf jede Art von 'analogem' Klirrfaktor, dann wird sichtbar, wie störend sich dieser Sachverhalt in der Praxis mit Digitalsystemen auswirkt.

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