Pro Audio White Papers

Grenzen der digitalen Audiotechnik
Autor: Gerd Jüngling - Copyright: Alle Rechte vorbehalten
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erschienen als Artikel im 'Studio Magazin' unter Mitarbeit von Dieter Kahlen


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Signalbearbeitung

Welche Probleme bei einer Signalverarbeitung auf der digitalen Ebene zusätzlich auftreten, hängt entscheidend von der Art der Bearbeitung ab. Wir unterscheiden hier in erster Linie die Dynamikbearbeitung sowie Filterverfahren aller Art; die meisten der heute in Workstations durchgeführten Bearbeitungen lassen sich auf eine dieser beiden Typen zurückführen. Die vom Rechenaufwand her einfachere Variante ist sicherlich die Dynamikbearbeitung. Hierzu werden keine komplexen Rechenoperationen erforderlich, sondern lediglich Pegelveränderungen sowie die Berechnung von Zwischenwerten für Ein- und Ausschwingvorgänge (zum Beispiel Attack und Release). Zudem wirken sich die für Digitalsysteme unvermeidlichen und in der Regel störenden Signallaufzeiten im Falle der Dynamikbearbeitung ausnahmsweise positiv aus, da sich durch Ausnutzen dieses Effektes ein verzögerungsfreies Ansprechen des Regelvorgangs auf den Signalverlauf realisieren läßt (Look-Ahead). Ein analoger Regelverstärker gleich welcher Bauart ist dagegen immer darauf angewiesen, ein ankommendes Signal zunächst zu messen und dann erst eine Regelgröße daraus zu erzeugen. Die Regelgröße ist also zwangsläufig immer später verfügbar als das Signal.

Digitale Filterung ist zweifellos die komplexere der beiden grundlegenden Signalbearbeitungs- Varianten. Stark vereinfacht betrachtet, beruht die Nachbildung einer mit einem Analogfilter erzeugten Entzerrungskurve in der Digitalebene darauf, die mathematischen Abläufe des analogen Vorbilds mit Hilfe einer entsprechenden Software auf die digitalen Audiosignale aufzurechnen. Dieser Vorgang ist im Vergleich zur Dynamikbearbeitung erheblich komplizierter, da beispielsweise eine glockenförmigen Filterung mit einer bestimmten Güte mathematisch nur sehr schwierig zu beschreiben ist. Viele der dort verwendeten Gleichungen münden in Grenzwerte, bestehen also aus einer ganzen Kette mit Einzelgleichungen. Die exakte Abbildung einer gewünschten Filterkurve mit der benötigten hohen Auflösung in der Amplituden- und Zeitebene erfordert deshalb in der Digitalwelt eine sehr umfangreiche Software. Hier werden in der Praxis durch eine endliche Rechenkapazität und die Forderung nach der Echtzeitfähigkeit des Filters Grenzen gesetzt. Deshalb verwenden real existierende Algorithmen lediglich vergröberte Varianten der eigentlich erforderlichen Originalgleichungen, die nur die wichtigsten Parameter berücksichtigen.

Bei einer digitalen Filterung wird unser ohnehin bereits mit Fehlern (siehe oben) behaftetes Digitalsignal also durch Rechenfehler weiter beeinträchtigt. Im Resultat nimmt die Signalqualität eines Digitalfilters mit steigender Filterfrequenz immer weiter ab; zudem ergibt sich aus den zugrunde liegenden mathematischen Zusammenhängen, dass beim Anheben bestimmter Frequenzbereiche mit einem digitalen Filter deutlich mehr hörbare Fehler auftreten als beim Absenken. Berücksichtigte man diese zwangsläufigen Einschränkungen, so wäre die praktische Nutzbarkeit der Filter natürlich stark reduziert; natürlich tut das in der Praxis aber niemand. Es liegt deshalb der Schluss nahe, dass viele der negativen klanglichen Begleiterscheinungen digitaler Mischungen in Workstations durch das Anheben mittlerer und hoher Frequenzbereiche mit Hilfe digitaler Filter verursacht werden. Natürlich wird die Qualität der Filtersoftware umso besser, je mehr Rechenleistung dafür zur Verfügung gestellt werden kann, weshalb in qualitativer Hinsicht auch durchaus schon Fortschritte zu verzeichnen sind. Mit welcher Annäherung an das Ideal man sich zufrieden geben möchte, ist aber letztlich eine Frage des persönlichen Anspruchs und der zu bewältigenden Aufgabenstellung.

Nach meiner Erfahrung nimmt allerdings auch heute der ganz überwiegende Teil der mit dieser Technologie befassten professionellen Anwender unabhängig von der individuellen Vorbildung deutliche Unterschiede wahr, und lediglich eine Minderheit hört keine klanglichen Einschränkungen - oder möchte sie nicht hören. Es kann schließlich in letzter Konsequenz recht teuer werden, solche Gedanken zuzulassen. Für diese Einschätzung spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass weltweit von professionellen Anwendern beträchtliche finanzielle Mittel dafür aufgewendet werden, um dieses klangliche Problem mit Hilfe von Analogtechnik zu umgehen.

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